13.25 / 1958 / Jazztage-Serie / Oscar Pettiford / "O. P." Bassist / USA †
13.25 / 1958 / Jazztage-Serie / "O. P." Bassist / USA †

Oscar Pettiford USA

Aus “schlagzeug - Jazz in Wort und Bild”,
Berlin Januar 1960, Nr. 1, Preis DM 1,- Ein Portrait aus eigener Erfahrung VON JOACHIM E. BERENDT

J.E. Berendt beginnt in diesem Heft eine Fortsetzungsreihe, in der er das musikalische und menschliche Portrait eines Musikers zeichnet. Der Bassist Oscar Pettiford wurde durch seine unverkennbare und nicht zu verwechselnde musikalische Handschrift, wie durch seine prägende Stilistik, zu einer der wichtigsten Persönlichkeiten der neueren Jazz-Geschichte. Es gereicht der Situation des Jazz in diesem Lande nicht zum Ruhme, daß er wegen der geringen beruflichen Möglichkeiten seinen ursprünglichen Entschluß, in Deutschland zu bleiben, korrigieren mußte.

Auf Debut gibt es eine Blues-Improvisation von Oscar Pettiford auf dem Cello (mit Charlie Mingus am Baß), die so etwas ist wie das Programm für den Musiker und den Menschen “O. P.”, wie er sich gern nennen läßt. Die Cello-Improvisation heißt “Low and behold”, und es schwingt in diesem Titel, den Oscar gewählt hat, alles, was es an Blues-Niedrigkeit und Blues-Gedrücktheit geben kann: “Niedrig und tief unten im Blues”, wenn man das übersetzen kann. Auch die Resignation und der immer wieder unvermutet aufflackernde Zorn darüber, daß er resigniert ist, und über das, was ihn resignieren läßt, schwingen in “Low and behold”.

Für die Jazzkritiker kommt ja das moderne Baß-Spiel von Jimmy Blanton her. Und für die Jazzfreunde ist Ray Brown heute “Bassist Nr. 1”, und doch weiß Oscar Pettiford sehr genau, daß all die modernen Bassisten Blanton’s Spielweise über ihn kennengelernt haben, daß sie also in Wirklichkeit viel mehr von Oscar Pettiford kommen als von Jimmy Blanton und daß dies gerade und vor allem für Ray Brown gilt.

In den 40er Jahren hat Oscar Pettiford beide Schlüsselpositionen innegehabt, von denen aus man als Bassist einflußreich sein konnte. Die eine war seine Stellung bei Duke Ellington von 1945-1948, die andere war sein Spiel mit den ersten Bebop-Gruppen in New York, wo damals die wichtigen Dinge im Jazz geschahen. Das erste Bebop-Ensemble von Dizzy Gillespie war in Wirklichkeit eine Pettiford-Combo. Damals - 1943 - war Pettiford der erste Bassist, der es den jungen Bop-Musikern möglich machte, auf das Piano zu verzichten: in der ersten Klavier-losen Combo des modernen Jazz, dem Dizzy-Bird-Don Byas-Max Roach-Oscar Pettiford-Quintett auf der 52nd Street. Auch in den Coleman Hawkins-Combos, in denen Hawkins damals als erster großer Swing-Musiker die jungen Bop-Musikanten unter seine Fittiche nahm, war Pettiford der bevorzugte Bassist. Bereits 1943, 1944 und 1945 gehörte er zu den All Stars der Zeitschriften “Esquire” und “Metronome”. Im Dezember 1943 machte er mit den Esquire All Stars seine ersten Plattenaufnahmen, und das ist sicher einmalig: daß ein Musiker die ersten Aufnahmen, die er überhaupt macht, gleich mit dem All Star-Ensemble des Jahres macht.

Die Ellington-Musiker haben Oscar Pettiford bewußt als Nachfolger des 1942 verstorbenen Jimmy Blanton empfunden. Aber das Ellington-Orchester war nicht nur wegen der Blanton-Tradition eine Schlüsselstellung. Seit der Duke Ende der zwanziger Jahre als erster einen verstärkten Baß verwendet hatte - den von Wellman Braud - und seit er etwas später als erster zwei Bässe verwandte, war Ellington der “Baß-bewußteste” Mann unter den wichtigen Persönlichkeiten des Jazz.

Als Ellington im vergangenen Jahr in Europa war, bot er Oscar Pettiford erneut den Baß-Platz seines Orchesters an. Aber Oscar liebt inzwischen nichts so sehr wie seine Freiheit. Er lehnte ab. Eine der charakteristischen Aufnahmen, die Oscar Pettiford mit dem Orchester Duke Ellington gemacht hat, ist “Suddenly it jumped” von 1946. Da wird deutlich, wie Oscar wirklich vom Baß her die ganze Ellington-Band swingt - wie es vor ihm nur noch Jimmy Blanton fertiggebracht hat.

Ellington hat bis zum Anfang der 50er Jahre nur wenige seiner Solisten dadurch ausgezeichnet, daß er sie in Combo-Aufnahmen begleitete. Zu diesen wenigen gehört Oscar Pettiford. Oscar machte, begleitet von Ellington, Cello-Aufnahmen in Quartettbesetzung, darunter das grandiose “Perdido”.

Man sagt im allgemeinen, daß Pettiford das Cello in den Jazz eingeführt hat. Das ist nicht ganz richtig. Der erste Bassist, der in einem modernen Sinn Jazz auf dem Cello gespielt hat, war Harry Babasin - 1947 auf “Dial” mit Dodo Marmarosa. Oscar kam erst zum Cello, als er 1949 Mitglied des Orchesters Woody Herman war. Er hatte sich damals - beim Ball-Spielen mit seinen Herman-Kollegen - den Arm gebrochen. (Oscar ist nicht nur Baß-, sondern auch Ball-Spieler ... und in seinem Garten in Baden-Baden haben viele, die ihn besuchten - der Autor dieses Portraits eingeschlossen - stundenlang mit ihm Ball spielen müssen!) Oscar war infolge des gebrochenen Armes eine Zeitlang nicht in der Lage, das große Baß-Instrument zu handhaben. Dadurch war er gezwungen, sich mit dem Cello zu beschäftigen. Er empfand sofort, wie das Cello durch seine Höhe und Leichtigkeit Möglichkeiten besitzt, die dem solistisch verwendeten Baß abgehen. Und sobald Oscar einmal angefangen hatte, Cello zu spielen, übertraf er Harry Babasin. Auf einer der frühen Cello-Aufnahmen, die es von Oscar Pettiford gibt, spielt auch Harry Babasin. Es ist charakteristisch, daß Babasin hier das zweite Cello im Sinne einer “Zweiten Geige” zupft: mehr oder minder als Begleitinstrument. Für diese Zwei-Celli-Session entstand eines der bekanntesten Themen von Oscar: der “Blues in the Closet” - auch wieder so ein Titel, wie er eigentlich nur Oscar einfallen kann.

Leonard Feather schreibt in seiner Jazz-Encyclopedia über Oscar Pettiford: “Jenseits davon, daß er den melodisch erfindungsreichsten und technisch beweglichsten Baß-Stil seit Jimmy Blanton entwickelt hat, hat sich Pettifords hohe Kunst dadurch bestätigt, daß er seinen Stil auf das Cello übertrug.”

Gleichermaßen die Zusammenarbeit mit Dizzy Gillespie in der hektischen Zeit des Bebop, wie sein Spiel bei Duke Ellington und vor allem seine familiäre Herkunft von einem Vater, der selbst Big Band-Chef war, haben Oscar Pettiford zum großorchestralen Jazz geführt. In den Geschichten des modernen Jazz wird immer wieder übersehen, daß Pettiford zu den ersten wichtigen Musikern gehört, die versucht haben, großorchestralen Bebop zu spielen. Das ist ein weiterer Punkt, der in der Beurteilung Pettifords falsch liegt und der zu Resignation und Verbitterung geführt haben mag. Eine der schönsten Big-Band-Aufnahmen von Oscar Pettiford aus der Bop-Zeit ist “Somethin’ for you” aus dem Jahre 1945, gespielt von Pettiford “and his 18 All Stars” mit Don Byas und Dizzy Gillespie als Solisten.